Ehe ich in dieses Erdenleben kam
        Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde
        Da war die Kümmernis, da war der Gram
        Da war das Elend und die Leidensbürde.
        Da war das Laster, das mich packen sollte,
        da war der Irrtum, der gefangen nahm
        Da war der schnelle Zorn, der in mir grollte
        Da waren Hass und Hochmut, Stolz und Scham
    
        Doch da waren auch die Freuden jener Tage
        Die voller Licht und schöner Träume sind
        Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage
        Und überall der Quell der Gaben rinnt
        Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden
        Die Seligkeit des Losgelösten schenkt
        Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden
        Als Auserwählter hoher Geister denkt
    
        Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute
        Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel
        Mir ward gezeigt die Wunde daraus ich blute
        Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel
        Und als ich so mein künftiges Leben schaute
        Da hört ein Wesen ich die Frag tun
        Ob ich dies zu leben mich getraute
        Denn der Entscheidungsstunde schlüge nun
    
        Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme –
        “Dies ist das Leben, das ich leben will” –
        Gab ich zur Antwort mit entschlossener Stimme
        So war’s, als ich ins neue Leben trat
        Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
        So ward ich geboren in diese Welt
        Ich klage nicht, wenn’s oft mir nicht gefällt
        Denn ungeboren habe ich es ja bejaht.
    
Hermann Hesse